Bei meinen Spaziergängen in meiner mittelgrossen Heimatstadt sehe ich ab und an irgendwo in einem Wohnquartier ein Zertifikat der Stiftung «Natur und Wirtschaft». Dieses besteht in einer am Zaun
angebrachten Tafel mit der Aufschrift «Garten der Zukunft».
Sehe ich eine solche Tafel, bleibe ich jeweils stehen und freue mich an dem schönen Anblick einer naturnah und harmonisch gestalteten, grünenden und blühenden, der Biodiversität verpflichteten
Hausumgebung und denke anerkennend: Dieser Privatgarten wird von Leuten gepflegt, denen die Natur lieb und wichtig ist.
Allzu oft sehe ich solche Tafeln aber nicht. Und eigentlich müssten sie anders angeschrieben sein, nämlich mit «Garten der Vergangenheit». Ja, grosszügig, kreativ, liebevoll und biodivers
angelegte Gärten werden in meiner Stadt nach und nach zur Seltenheit. Alte Häuser in den Wohnquartieren werden plattgemacht und mit ihnen die grossen Gärten, in denen generationenlang Bäume und
Sträucher standen, dichte Teppiche von Winterlingen leuchteten, Blausterne und Thymianstauden blühten, reicher Sommerflor prunkte und die Herbstastern ganze Heere von Bienen anlockten.
Auf diesen Arealen wird nun gebaggert, gepickelt, geschaufelt, betoniert, gemauert, gehämmert, gebaut, möglichst breit und möglichst hoch. Mit etwas Glück bleibt zuletzt noch ein
taschentuchgrosses Stück Land übrig, auf dem sich ein paar Kiesel zu einem «Steingarten» anhäufen lassen. Mehr Platz für die Umgebung darf nicht sein, denn die neuen Gebäude, errichtet in einem
meist funktionalen, sterilen Kastenbaustil, müssen möglichst vielen Leuten Raum bieten, und sie müssen rentieren.
Diese seit einigen Jahren zu beobachtende Tendenz in den alten Wohnquartieren meiner Stadt zeigt das Dilemma der Planer auf: Man möchte – was durchaus zu loben ist – das Siedlungsgebiet nicht in
die ländliche Umgebung hineinwuchern lassen wie ein Krebsgeschwür. Deshalb setzt man auf bauliche Verdichtung, opfert damit aber ein gutes Stück grünen Lebensraum und naturnahe Lebensqualität im
Ortsinnern. Und das ausgerechnet in meiner geliebten Stadt, die sich seit Jahrzehnten zugutehält, eine grüne Stadt zu sein.
Vage ahne ich, in welche Richtung es hier neuerdings geht. Nicht in die Richtung, die mehr Bäume, Sträucher, Blumen, Vögel und Insekten verheisst. Sondern in die Richtung, die «grün» mit grüner
Technologie gleichsetzt. In besonders pessimistischen Momenten sehe ich vor meinem inneren Auge die Stadt als zukünftiges Eldorado – oder vielleicht eher Limbus? – der surrenden und flirrenden
Windturbinen, gleissenden Fotovoltaik-Paneele und verdichteten Nullenergie-Wohnsiedlungen. Hochleistungsstarke LED-Flutlichtanlagen machen mit Energie aus einem riesigen Faulgas-Kraftwerk die
Nacht zum Tag, und auf den versiegelten Bodenflächen sind reihenweise Wärmepumpen und Kohlendioxid-Staubsauger am Werk. Auf den Strassen flitzen unablässig Elektromobile in Richtung Einkaufsmeile
weit ausserhalb der Stadt – denn in der Stadt selber gibt es dannzumal keine Läden mehr –, und manchmal taucht geisterhaft ein KI-gesteuerter Solarbus auf.
Klar, eine solche Stadt ist auch «grün» – nur vielleicht nicht ganz im klassischen Sinn. «Gärten der Zukunft» wird es hier jedenfalls keine mehr geben. Mit etwas Glück vielleicht noch den alten Kastanienbaum am Luftgässchen bei der Kirche. Und dieser wird als Sehenswürdigkeit bestaunt werden von Leuten, die schon gar nicht mehr wissen, was das eigentlich ist: ein Baum.